Das schwarze Schaf der GILCHER-Familie

Endete der Stamm Gilcher-Wiesweiler unter der Guillotine?

Genealogische Entdeckung im Schinderhannesjahr 2003

In der Gilcher-Familie, die sich nach dem 30-jährigen Krieg von Horschbach aus im Westrich verbreitet hatte, war in unserer  Zeit    nur  noch  bei  ganz wenigen  Nachkommen  bekannt,  dass   ein Spross  dieser Familie  etwas  mit  dem Schinderhannes zu tun hatte. Genaueres wusste niemand mehr. Erst das "Schinderhannesjahr" 2003 brachte wieder Licht in diesen Fall.

In Frage 126 fand sich dort ein Hinweis auf die Gilcher-Familie. Auf die Frage, wo sich denn der Philipp Gilcher aus Wiesweiler befinde, antwortete er, der sei zu Trier guillotiniert worden. Wie so viele andere richtige und wahre Angaben des Johannes Bückler war auch diese Aussage über seinen Ex-Komplizen zutreffend. In den Beiakten zum Schinderhannesprozess finden sich denn auch die Schandtaten und das Schicksal des Philipp Gilcher im - französischen - Wortlaut seines eigenen Strafprozesses[1] vor dem Kriminalgericht des Saargebiets (Département de la Sarre) vom 27.August 1800.

Philipp Gilcher war das jüngste von drei Kindern des Schneidermeisters

Simon-Jakob Guelcher jr., der 1757 nach seiner Heirat von Aschbach nach Wiesweiler gezogen war. Er gehört zu dem Gilcher-Zweig, der noch im 17.Jahrhundert von Horschbach nach Nerzweiler gekommen war. Simon-Jakobs Eltern waren :

Hans Simon Gülcher ~25.2.1685 Nerzweiler, +14.4.1757 Aschbach, seit seiner Konfirmation Simon-Jakob genannt, Sohn des Schusters Michael Gülcher und der Anna Elisabetha Kleemann.

Heirat: 9.1.1711 Nerzweiler:
Anna Maria Margaretha, Tochter von Bastian Jung, Aschbach *2.8.1689 Aschbach,+ 4.4.1753 Aschbach. 
Kinder (alle in Aschbach geboren) :
    1.Anna Catharina Gülcher ~7.9.1712 + 20.3.1713
    2.Simon-Peter Gülcher~ 6.4.1714 + 27.1.1788, Hirt, heir. 19.4.1746 Margarethe,
             T.v. Conrad Kühner, Aschbach, *20.7.1727+ ?
    3.Maria Elisabetha Gülcher ~ 13.1.1716 + ?, heir. 26.4.1742 Jacob Müller, Witwer aus
             Brücken bei Birkenfeld
    4.Johann Friedrich Gülcher ~1.2.1719 + 26.10.1723
    5.Anna Eva Dorothea Gülcher ~ 2.5.1721 + ? "verheiratet auf Befehl der Regierung":
             Simon-Peter Hubrath von Oberweiler
    6.Anna Elisabetha Gülcher ~ 17.6.1723 + 12.10.1724
    7.Simon-Jakob Gülcher ~20.11.1725+8.12.1785 Wiesweiler siehe folgende Familie
    8.Catharina ~12.9.1727+ 18.3.1729
    9.Maria Catharina ~ 14.1.1731+ ?, heir. 23.8.1757 Ulmet: Jacob Jung von
             Gumbsweiler

Die Gilcher-Familie des Simon-Jakob jr. in Wiesweiler bestand nach den reformierten und lutherischen Kirchenbüchern von Lauterecken aus folgenden Personen:
Simon Jakob Gülcher jr. ~20.11.1725 Aschbach , + 8.12.1785 Wiesweiler.
Heirat: 15.2.1757 Aschbach: Margarethe, Tochter von Adam Schreiner, verwitwete Lamneck,
* 6.5.1719 (errechnet)+ 29.8.1781 Wiesweiler.
Kinder (alle in Wiesweiler geboren) :
  1. Johann Adam Gülcher * 2.12.1757 (ref.) konfirmiert 1771 luth. KB Lauterecken + ?
  2. Maria Margarethe Gülcher * 2.3.1759 + 27.5.1760 (ref.)
  3. Johann Jakob Gülcher * 8.4.1761 + 22.1.1762 (ref.)
  4. Charlotta Gülcher  *18.12.1762 konf.1777 (luth.) heir.13.4.1790 Georg Matthias Effert
  5. Johann Philipp Gülcher * 1767 (ref.) konf.1781 (luth.) + 23.11.1800 Trier
Philipp Gilcher war also erst 14 Jahre alt, als er Halbwaise wurde. Seine Mutter starb nur wenige Monate nach seiner Konfirmation. Mit 18 war er Vollwaise. Sein Vater ertrank im eisigen Glan, wie das reformierte Kirchenbuch Lauterecken berichtet. Spätestens ab dieser Zeit war der junge Mann auf sich allein gestellt und musste sich irgendwie durchs Leben schlagen. Das tat er nicht im Beruf seines Vaters als Schneider, sondern als Mühlenknecht, wahrscheinlich mehr schlecht als recht. So geriet er in Ermangelung elterlicher Lenkung in der Zeit des revolutionären Umbruches in der Pfalz, im Machtvakuum der fehlenden Amtsautorität früherer Herrschaft und der noch nicht gesicherten Autorität der französischen Besatzungsmacht auf die schiefe Bahn und kam in Kontakt mit Schinderhannes und anderen Entwurzelten seiner Region Eifel/Hunsrück, und seiner Zeit, wie z.B. dem Räuber Peter Zughetto, "Erzpeter" genannt oder Peter Stibitz, "schwarzer Peter" genannt.
Die ersten amtlich überlieferten Kontakte von Gilcher und Schinderhannes datieren aus dem Spätjahr 1799, als letzterer zum dritten Mal in kurzer Zeit aus dem Gefängnis - diesmal in Simmern - entkommen war und sich wieder fit für neue Taten fühlte. Da sich Philipp Gilcher gut auskannte in der Gegend nördlich des Glans, wo er mit Schinderhannes, Erzpeter und anderen zusammentraf, gab er den Tipp, in das Kleidergeschäft der Witwe Frenger in Offenbach am Glan, nicht weit von seinem Heimatdorf Wiesweiler, einzubrechen. Am 24.November 1799 erkundete Gilcher zu Fuß die Lage. Erzpeter stieg über eine Mauer ein und warf die gestohlene Ware heraus. Die vier Einbrecher transportierten sie in Säcken ab nach Langweiler, wo sie zunächst versteckt und dann verteilt wurde. Gilcher und Schinderhannes verkauften ihre Anteile an Zughetto.[2] Dies war der relativ gewaltlose Auftakt einer Serie von weiteren Diebstählen, Einbrüchen, Überfällen Gilchers, die auch Morddrohungen und Gewalt gegen Menschen beinhalteten, was seitens der französischen Besatzungsmacht mit strengsten Strafen geahndet wurde.
Philipp Gilcher , der noch unter dem Namen Gülcher auf die Welt gekommen war, wurde von Schinderhannes übrigens Gilchert genannt, eine Namensform, die sich unabhängig davon ähnlich auch im krummen Elsass in dieser Zeit entwickelte (dort Gilgert aus Gilger). Die Franzosen schrieben den Namen Gilger, mit "g" statt "ch", das einen ähnlichen Lautwert (nur stimmhaft statt stimmlos) hat. In Elwenspoeks Schinderhannes-Buch von 1925 wird daneben auch noch die ursprünglichere Namensform Jülcher (verkürzt aus Jülicher ) für Philipp Gilcher verwendet, so als ob damals noch bekannt gewesen wäre, dass sich der Name Gilcher von der Stadt Jülich ableitet.[3]

Wegen des Einbruches in Offenbach stand Gilcher jedoch nicht vor Gericht. Ihm wurden in seinem Strafprozess in Trier nur die Taten vorgeworfen, die er im Anschluss daran, meist mit der Schinderhannes-Bande zusammen, beging. Seine Prozessakten nennen - kurz zusammengefasst - folgende Taten, an denen er beteiligt war:

- Am 18.12.1799 wurden sechs Besucher des Birkenfelder Marktes in der Nähe des Wickenhofes von 3 Räubern überfallen, mit Pistolen bedroht und vier davon um 95 Gulden erleichtert (David Joseph, Samuel Hayum, David Jecol von Hundsbach, Salomon Hayum von Schweinschied). Einer der drei Räuber war Philipp Gilcher, ein zweiter war der Schinderhannes. Es seien "drei große starke Leute" gewesen, die den Weg blockiert hatten und geschrien hatten "Jud, geb dein Geld her, oder du bist des Todes!"[4]

- Dieselben drei überfielen kurze Zeit später am selben Tag an derselben Stelle - ein Weg der durch ein Wäldchen namens "Schmalzhecke" führte - den Metzger Christoph Schank von Meisenheim, der auch vom Birkenfelder Markt heimkehrte und nahmen ihm unter Morddrohungen 280 Gulden ab.

- Am 10.1.1800 nachts um halb elf hatte sich Gilcher mit einer Bande von 24 Räubern - dabei auch der Schinderhannes -Zutritt zur Antesmühle verschafft. Die Bande hatte sich Essen zubereiten lassen,den Müller Michel Horbach grausam verprügelt, um Geld von ihm zu erpressen - allerdings vergeblich -, hatte Kleider gestohlen, in die Stubendecke geschossen und die Fenster eingeschlagen.

- Anschließend war die Bande nach Otzweiler weitergezogen, hatte sich unter einem Vorwand Zutritt in das Haus des Peter Riegel verschafft, um das bei ihm vermutete Geld zu rauben. Es fielen fünf Schüsse im Hausgang. Peter Riegel wurde erschossen, als er fliehen wollte, sein Schwiegersohn Conrad Bauer schwer verletzt. Philipp Gilcher wurde von den Geschworenen weder für den Tod des Peter Riegel , noch für die Verletzung des Conrad Bauer unmittelbar verantwortlich befunden.

Am 2.2.1800 war Philipp Gilcher als Anführer einer Bande von vier Dieben in der Walkmühle bei Kusel eingebrochen, indem sie die Eisengitter vor einem Fenster herausbrachen, hatten dem Müller Philipp Bitsch durch Gewaltandrohung 6 Sechspfund-Münzen entwendet, sowie Kleidung, Silbergegenstände und Lebensmittel (Kaffee und Zucker).

- Schließlich wurde Philipp Gilcher vorgeworfen, dass er am 7.März 1800 zur mittleren Mühle von Krebsweiler gegangen sei in der Absicht, dort den Branntweinhändler Peter Maurer von Becherbach, der ihn beim Schmalzheckenüberfall erkannt hatte, umzubringen. Der Müller Peter Horbach und seine Frau hätten ihn von diesem Vorhaben jedoch noch abbringen können. 

Nach diesem Vorfall war für Philipp Gilcher endgültig Schluss mit dem Räuberleben, das er nicht wie sein Komplize Johannes Bückler jahrelang, sondern nur wenige Monate geführt hatte. Vier Tage später, am 11.März 1800, stellte der Friedensrichter von Grumbach einen Haftbefehl auf ihn aus, der am folgenden Tag von den Gendarmen Mangel und Denies aus Kusel vollzogen wurde. Zunächst kam er nach Birkenfeld ins Gefängnis und wurde dann im Juli 1800 in Trier an das Spezialgericht übergeben, das die französische Besatzungsmacht eingerichtet hatte, um dem Banden- und Räuberunwesen in den eroberten linksrheinischenDépartements, vor allem der Schinderhannes-Bande, Herr zu werden.

Obwohl Philipp Gilcher keines Mordes und keiner Gewalttat gegen Personen für schuldig befunden wurde, sondern lediglich seine Beteiligung an Diebstählen, Raub und Einbrüchen festgestellt wurde, haben ihn die Geschworenen nach dem französischen Strafgesetzbuch und den Polizeiverordungen, die 1798 von Frankreich in der Pfalz eingeführt worden waren, zum Tode verurteilt. Das Urteil erging am 20.November 1800 und war laut Gesetz nach drei Tagen zu vollstrecken. Philipp Gilcher ist also am 23.11.1800 in Trier unter der Guillotine gestorben, genau ein Jahr nach dem ersten überlieferten und gemeinsam mit dem Schinderhannes und Erzpeter begangenen Einbruch. 

Ob mit dieser Enthauptung der Gilcher-Stamm von Wiesweiler endgültig ausgestorben war, ist die spannende Frage, die es noch zu lösen gilt. Was war aus seinem älteren Bruder Adam Gilcher geworden? Außer der Geburt und der Konfirmation fand sich bisher kein weiteres Lebenszeichen von ihm in den Kirchenbüchern der näheren Umgebung. Hat er es eventuell vorgezogen, das Dorf, in dem sein Bruder sich und die Familie unmöglich gemacht hatte, für immer zu verlassen?[5]



[1]Procédure instruite par le Tribunal Criminel spécial établi à Mayence…, Band 3, 1.Teil, S. 145 ff.
[2]Vgl. Manfred Franke, Schinderhannes, Düsseldorf 1984, S. 117 f.
[3]Curt Elwenspoek, Schinderhannes, Stuttgart 1925, S.71.
[4]zitiert nach Manfred Franke, Schinderhannes, Düsseldorf 1984, S. 123
[5]Über sachdienliche Hinweise würde sich der Verfasser freuen. E-mail Adresse: FF.Huettenberger@t-online.de